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Urteil mit Signalwirkung 22.09.2016 Ravensburg

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Von Sebastian Lipp

21.09.2016 -

Im Januar warfen zwei Neonazis Feuerwerksraketen in das Schlafzimmer eines syrischen Kriegsflüchtlings. Für ihre „Mission Rocket“ wurden sie vom Amtsgericht Ravensburg wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und versuchter schwerer Brandstiftung verurteilt. Das Gericht schloss eine Bewährungsstrafe aus.

Im Vorfeld der Tat, die nach Überzeugung des Gerichts „von langer Hand geplant“ war, haben sich der 27-jährige Haupttäter Kevin St. und sein jüngerer Cousin Domeniko Sch. auf Facebook über eine „Mission Rocket“ unterhalten. Tatsächlich fahren die beiden Neonazis am 10. Januar dieses Jahres mit dem Firmenwagen des Selbstständigen Kevin St. nach Reute bei Bad Waldsee und parken in der Nähe des Containerbaus, in dem damals über ein Dutzend Personen Zuflucht fanden. Die Männer nehmen jeweils eine der Feuerwerksraketen aus dem Auto. Die Leitstäbe, die für eine stabile Flugbahn sorgen sollten sind bereits abgetrennt. An der Unterkunft finden sie ein gekipptes Fenster. Im Zimmer brennt Licht, der syrische Kriegsflüchtling Burhan Al-M. sitzt an seinem Schreibtisch und lernt die deutsche Sprache. Die Täter werfen die brennenden Feuerwerksraketen durch das Fenster und flüchten. Ein Zeuge hört die beiden Männer lachen. Die Brandsätze landen auf Bett und Boden. Sie explodieren und hüllen das enge Zimmer in dichten Rauch.

Burhan Al-M. verliert das Bewusstsein und muss von Mitbewohnern, die auch die Entstehung eines größeren Brandes verhindern, aus dem Zimmer gerettet und ins Krankenhaus verbracht werden. Der Anschlag hat sein Herzleiden verschlechtert. Schwerwiegender ist jedoch die durch die explodierende Pyrotechnik ausgelöste Retraumatisierung. Vor dem Krieg sei er geflohen, dachte, in Deutschland sicher zu sein. Er kann nicht verstehen, warum er von den „jungen Deutschen“ angegriffen wurde. Der Anschlag habe die Stimmung in der Unterkunft nachhaltig verändert, die Bewohner hätten bis heute Angst.

 

Hämische Kommentare auf den Mobiltelefonen

Die äußeren Tatumstände räumten die beiden Täter am 1. September, dem ersten Hauptverhandlungstag, vor dem Amtsgericht Ravensburg vollumfänglich ein. Dass die Beweise erdrückend sind, dürften sie von ihren Verteidigern erfahren haben. Eine Zeugin erinnerte sich, wie die beiden direkt nach der Tat an ihr vorbei rannten und in ihr Fluchtfahrzeug stiegen. Das von der Zeugin notierte Kennzeichen führte die Polizei zum Firmenwagen von Kevin St., darin lagen noch Kleidungsstücke, die zur Beschreibung der Zeugin passten, und Raketen, wie sie bei der Tat verwendet wurden. Teile der beim Anschlag eingesetzten Raketen überstanden die Explosionen und trugen die DNA der Täter. Bei der Auswertung der Mobiltelefone stießen die Ermittler auf die hämischen Kommentare zum Ausrücken der Feuerwehr. Kurz nach der Tat sendet Sch. eine Sprachnachricht an seinen älteren Cousin: „Haha Feuerwehr“. Dieser antwortet: „Hahaha“.

Zu ihrer extrem rechten Gesinnung wollten sich die Männer aber zunächst nicht bekennen. Tatauslöser sei ein Bewohner der Flüchtlingsunterkunft gewesen. Als der Haupttäter St. mit seinem Auto an dem Containerbau vorbei fuhr, soll ihm ein Unbekannter den Mittelfinger gezeigt und ihm etwas hinterher geworfen haben. Dafür hätten sie den Flüchtlingen „nur“ einen „Schrecken einjagen“ wollen.

 

„Alles was nicht deutsch ist wegmachen“

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der darin eine Schutzbehauptung sah, brachte dagegen die Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone vor. Demnach war Kevin St. Administrator einer Whatsapp-Gruppe namens „Widerstand Schwaben“, die er mutmaßlich selbst gegründet habe. Für einen Ermittler hatten deren Inhalte „absolut volksverhetzenden Charakter“. St. soll geschrieben haben: „Ich will Deutschland wieder deutsch machen. Also lass mich eine Waffe kaufen und damit spielen. Ich will alles was nicht deutsch ist wegmachen.“ Gegen die Gruppe wird noch in einem gesonderten Verfahren ermittelt. Auch der Mitangeklagte dürfte in der Whatsapp-Gruppe gewesen sein. Was dort besprochen wurde, will er nicht mitbekommen haben. Ein Photo auf dem Speicher seines Smartphone zeigt ihn mit Hitlergruß.

Vor diesem Hintergrund konnte das Gericht keine „Einsicht oder gar Reue“ erkennen, als die Angeklagten sich auf Aufforderung ihrer Verteidiger bei zwei Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft für ihren Anschlag entschuldigten. Für versuchte schwere Brandstiftung, Sachbeschädigung und gefährliche Körperverletzung muss Domeniko Sch. ein Jahr und zehn Monate hinter Gittern verbringen, Kevin St. bekam zwei Jahre und drei Monate Haft und muss weiter in Untersuchungshaft bleiben, auch wenn das Urteil vom 13. September noch nicht rechtskräftig ist. Die Staatsanwaltschaft geht von einer hohen Fluchtgefahr aus.

Das Gericht möchte ausdrücklich eine Signalwirkung an Gesinnungsgenossen entfalten und verzichtet daher bei beiden Angeklagten darauf, die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen: „Wenn wir da Bewährung gäben, dann wäre das schlicht das falsche Signal an alle die ähnlich denken wie Sie.“ Die Ansicht, es gäbe zu viele Geflüchtete im Land dürfe nicht mit Gewalt durchgesetzt werden.

 


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